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Vintage-Objektiv-Vergleiche

Hallo Manfred,

das Vergleichen von Vintage-Objektiven ist ein sehr interessantes Thema. Aber man sollte hierzu einige Hintergründe kennen, damit Ergebnisse nicht falsch interpretiert werden. Dieses Thema ist ein großes Fass. Hm, ich versuche mal, im Rahmen der Möglichkeiten hier auf Makrotreff im wahrsten Sinne des Wortes etwas Licht hineinzubringen :-).

Man kann Vintage-Objektive mittels Testfotos miteinander vergleichen – so in etwa, wie Du es gemacht hast. Dann erhält man Ergebnisse, die exakt in dieser Situation entstanden sind, exakt bei den Bedingungen, die dort jeweils herrschten. Bei Deinen Fotos oben zeigt sich beispielsweise, dass bei diesen sehr ähnlichen (nicht exakt gleichen!) Bedingungen das Oreston den Hintergrund etwas kontrastierter als das Helios wiedergibt. Bei diesen vorliegenden Bedingungen ist das so, ist das Fakt.

Nun braucht sich in einer anderen Situation nur ein einziger Parameter minimal zu verändern – beispielsweise ein seitlicher, minimaler Lichteinfall eines Sonnenstrahls – und die beiden Objektive reagieren völlig unterschiedlich auf diese Änderung. Dann kann es plötzlich sein, dass das Helios, das ja eigentlich eine Bokeh-Schleuder ist :-), das wildere, sprich deutlich strukturiertere Bokeh liefert, vielleicht durchsetzt mit Lichtstrahlen, bei denen Du Dich fragst, wo sie herkamen. Vielleicht reagiert in dieser Situation das Oreston völlig gezähmt – oder umgekehrt...

Das sind genau die Unterschiede, die Vintage-Objektive so einzigartig und damit so interessant machen. Natürlich gibt es bei Objektiven Abbildungstendenzen. Aber letztendlich komponiert ein Vintage-Objektiv in der Regel mit, wenn Du als Makronist den Dirigentenstab schwingst.

Mann muss also Vintage-Objektive individuell kennenlernen. Mit der Zeit lernt man, welche alten Objektive in welchen Situationen welche eigenen Charakterzüge beisteuern. Aber glaube mir, ich werde auch heute noch immer wieder überrascht, wenn ich losziehe und plötzlich eine besondere Situation da ist: Ein winziges Licht, frontal oder leicht seitlich, und es kann zu blitzartigen Entladungen im Inneren des Objektivtubus kommen. Die Linsen scheinen förmlich mit dem Licht zu spielen. Ich nenne es öfter "tanzen"; das Licht tanzt im inneren des Objektivs, mal einen ruhigen Blues, mal den wilden Tango.

Ein nicht zu unterschätzendes Kriterium hierbei kann auch der Zustand der Tubus-Innenwände alter Objektive sein. Manche haben dort Abplatzungen, die ganz individuelle Reflexe verursachen. Ich habe schon Beulen im Tubus gehabt, die das gewisse Extra lieferten, unbeschreiblich in der Wirkung. Ein ordentliches Marketing vorgeschaltet, und so ´ne Beule erfährt eine unvorstellbare Wertsteigerung :-).

Auch die Unterschiede der Linsen innerhalb eines gleichen Objektivtyps sind nicht zu unterschätzen. Heutige Linsen werden alle computergesteuert hergestellt. Früher war das anders, da stand der Mensch dahinter. Da gab´s ´ne gewaltige Streuung. Da reagiert auf so einen seitlichen Hauch von Lichtstrahl das eine Oreston wie ein wilder Hengst, während das andere Oreston anscheinend überhaupt keine Kenntnis davon nimmt. Das habe ich alles schon erlebt.

All dem zugrunde liegt die Tatsache, dass ein Foto aus Licht besteht. Licht ist DER entscheidende Faktor. Moderne Objektive sind herstellungsmäßig so homogenisiert, dass fast alle auf eine gegebenen Lichtsituation nahezu gleich reagieren. Bei Vintage-Objektiven ist das anders. Hier können winzige Unterschiede zu großen Auswirkungen führen.

Und dann spielt sogar noch die eigene Stimmung, mit der man gerade fotografiert, eine Rolle. Es gibt Tage, da komme ich mit einem bestimmten Objektiv überhaupt nicht zurecht. Es scheint nur langweilig zu sein.
Und dann, wenige Tage später (vielleicht auch nur wenige Stunden später), in einer anderen Situation, in einer anderen eigenen Stimmung, da bekomme ich das gleiche Objektiv kaum gehalten. Beim leisesten Lichtstrahl bäumt es sich auf, wiehert wild und möchte am liebsten durchbrennen. Was hat sich geändert? Unter anderem auch der Geist hinter der Kamera. Bei den Tagen zuvor schlief er, dann auf einmal ist die Kreativität da, die Bereitschaft zum Außergewöhnlichen. Er ist bereit für den wilden Ritt.

Was sagen nun solche Vergleichstest aus? Klar, sie sagen etwas aus, sie sind keinesfalls für die Katz. Aber es sind nur Fingerzeige, die hier offenbart werden. Ein Vintage-Objektiv lernt man erst richtig kennen im langen, intensiven Einsatz unter sehr vielen verschiedenen Bedingungen.
Und wenn dann auch nur geringe Unterschiede während des Test auftreten, werden die Aussagen noch ungenauer. Hier reicht bereits das Wandern der Sonne und der damit verbundene leicht veränderte Lichteinfallswinkel und die leicht veränderte Licht-Schattenverteilung auf dem Motiv.

Aufgrund all dieser Faktoren schaue ich mir diejenigen Objektive auch so genau an und setze sie in verschiedenen Situationen ein, ehe ich sie weitergebe.

Zu den beiden tollen Objektiven Oreston 1.8/50mm und Helios 44-2 2.0/58mm:

Die beiden Objektive zeigen sehr individuelle Eigenheiten. Auch wenn ihre Werte recht ähnlich klingen – ihre Abbildungseigenschaften sind es weniger. Das ganze Spektrum dieser Unterschiede zeigt sich aber erst beim Vergleich in vielen verschiedenen Situationen. Die beiden Vergleich-Fotos oben liefern nur wenige Unterschiede. Sie bilden bei weitem nicht das volle Spektrum ab. Da liefern diese beiden tollen Objektive wesentlich mehr, und zwar jedes für sich, in ganz besonderere Klasse.

Nun hoffe ich, dieses komplexe, aber sehr spannende Thema etwas durchleuchtet zu haben. Alles weitere würde hier den Rahmen sprengen.

Lieber Gruß,

Roland

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