Verwacklungsunschärfe (?) II

Hallo,

wir haben ja Zeit, da kann man auch mal das ablaufende Fotojahr Revue passieren lassen. Beim Durchsehen der Bilder fallen mir immer wieder Unschärfen auf. Fragt sich, woran das liegt.

Bei den oben eingestellten Bildern war es wieder ziemlich windig. Aber hier hatte ich kurze Belichtungszeiten von 1/800 bzw. 1/2000s gewählt. Im Einsatz war das Olympus 55 mm / f 1,2. Die Schärfeebene ist also bei Offenblende äußerst knapp. Die Libellen sind nicht scharf, was u.a. wiederum daran liegt, dass die optische Achse ist nicht exakt im rechten Winkel ausgerichtet ist. Aber wenn ich die Bilder durchsuche, habe ich das Gefühl, dass wirkliche Schärfe an keiner Stelle zu finden ist. Und eigentlich kann das Oly doch scharf. Deshalb frage ich mich, ob auch hier eine Verwacklungsunschärfe vorliegt. Hmmm.

Liebe Grüße

Ingo

Kommentarbereich

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ADMIN

Hallo Ingo,

beide Fotos zeigen keine Verwacklungsunschärfen. Die vorliegenden Unschärfen resultieren aus der Charakteristik der extrem offenen Blende 1.2.

Bild 1
Die Punktschärfe liegt auf den Flügelansätzen beider linker Flügel. Zu mehr reicht es kaum. Insbesondere der sehr runde und damit dicke Kopf der Kleinlibelle mit seinem nach vorne herausragenden Auge liegt deutlich vor der minimalen Schärfeebene.

Bild 2
Hier liegt die Punktschärfe auf einigen Teilen der Früchte, unter anderem auch auf Teilen der Fruchtstiele. Für mehr Schärfentiefe reicht auch hier die offene Blende 1.2 nicht aus. Die Libelle befindet sich bereits im Bereich der Randunschärfen. Da ist dann gar nichts mehr möglich mit Schärfe.

Generell gilt:
Insekten mit einem Vintage-Objektiv mit der Blende 1.2 zu fotografieren ist, gelinde gesagt, hardcore. Insekten benötigen eine sehr hohe Schärfe, das Betrachterauge verlangt dies einfach. Deshalb verzeihen auch Insektenfotos, die mit modernen Objektiven erstellt wurden, weniger Unschärfen (und auch weniger Bildrauschen) als viele andere Motive. Hier liegt die Hürde für Vintage-Objektive also sehr hoch – insbesondere für sehr lichtstarke. Versucht man es trotzdem, sollte man auf folgende Dinge besonders achten:

  • Hauptmotiv möglichst in der Bildmitte platzieren
     
  • auf gute Kontrastverhältnisse achten
     
  • Gegenlicht führt insbesondere bei sehr großen Lichtstärken leicht zu einem störenden Glühen beim Hauptmotiv
     
  • auch Lichtreflexe können zu störendem Glühen führen
     
  • der Schärfepunkt muss exakt auf das Auge gelegt werden
     
  • der Bereich, auf dem der Schärfepunkt liegt, darf nicht zu dreidimensional sein (wie z.B. Libellenaugen) – ansonsten Abbildungsmaßstab verringern.

Es ist ratsam, solche Objektive bei verschiedenen Lichtverhältnissen auszuführen. Dann lernt man mit der Zeit, wie sie bei welchen Motivsituationen reagieren. Das ist wichtig, denn eigentlich verhält sich das mit dem Ausführen andersherum: Ein solches Objektiv geht mit dem Fotografen Gassi, nicht umgekehrt. Das Objektiv zeigt dem Fotografen, wo es langgeht. Erst wenn man gelernt hat, das zu akzeptieren, entsteht sowas wie ein "gemeinsames Bild" :-).

Liebe Grüße

Roland

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Makronist

Hallo Roland,

du hast uns schon zum Praxistag beim Vintage-Workshop in Breklum mit auf den Weg gegeben: Heute keine Insekten fotografieren! Und gute Gründe dafür genannt. Das habe ich auch verstanden, es aber natürlich trotzdem versucht :)

Denn nach meinem Empfinden wäre es traumhaft, diese filigranen, für Menschen oft surreal wirkenden kleinen Lebewesen in einer durch Vintage-Objektive verfremdeten Umgebung zu zeigen. Einer Welt, wie sie vielleicht ein Facettenauge sieht. Das würde noch mehr (als mit der klassischen Makrofotografie möglich) verdeutlichen, dass Insekten in einer ganz anderen Dimension und aus der Perspektive der Winzlinge völlig andersartigen Welt leben, als wir Säuger. 

Du erklärt überzeugend, dass die Hürde für Vintage-Objektive für derartige Ambitionen sehr hoch liegt, führst aber dankenswerterweise dennoch aus, worauf man achten sollte, falls man es versuchen möchte. Dazu noch eine Frage: Was genau meinst du, wenn du empfiehlst, auf gute Kontrastverhältnisse zu achten?

Zum letzten Absatz: Punktuell habe ich die Erfahrung gemacht, aber der Weg ist noch weit. Macht aber nichts, so bleibt noch was zu Entdecken...

Liebe Grüße

Ingo

 

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ADMIN

Hallo Ingo,

Kontraste habe großen Einfluss auf unser Schärfeempfinden. So kann ein flaues Bild leicht unscharf wirken, obwohl es dies vielleicht gar nicht ist. Andersherum können (zu) starke Kontraste ebenfalls den Eindruck von Unschärfe vermitteln, insbesondere dann, wenn es an den Kontrastkanten zu Überstrahlungen kommt.

Hieraus geht hervor, dass insbesondere Vintage-Objektive bei Offenblende – und hier vor allem mit großen Offenblenden – eher stärker auf bestimmte Kontrastverhältnisse reagieren als moderne Optiken. Das "Problem" hierbei ist: Es entscheiden oft Nuancen! So können beispielsweise starke Kontrastkanten zu einem tollen Schärfeeindruck führen, bei einem minimalen weiteren Anheben der Kontraste jedoch durch Überstrahlungen ins Gegenteil führen und somit einen starken Unschärfeeindruck vermitteln. Das macht das ganze Thema schwer berechenbar – aber auch sehr spannend; hierin liegt ein gewaltiger Gestaltungsspielraum.

Es lassen sich bei vielen tollen Vintage-Objektiven keine allgemeinen Regeln ableiten, insbesondere nicht bei vielen Bokehschleudern und/oder sehr lichtstarken Objektiven wie auch das tolle Olympus 1.2/55mm. Manche Vintage-Makronisten sind der Auffassung, "nur" mit viel und/oder direktem Licht ließen sich scharf wirkende Fotos erstellen. Und es stimmt: Bei eher harmonischem Licht entsteht bei den sehr hohen Lichtstärken schnell ein diffuser Unschärfeeindruck. Doch habe ich mit solchen Objektiven auch schon bei extrem wenig Licht Fotos gemacht, die auch in puncto Schärfe keine Wünsche offenlassen.

Es geht aber nicht nur um Nuancen hinsichtlich der gegebenen Licht- und Kontrastsituationen. Auch unterschiedliche Vintage-Objektive können bei gleicher Ausgangslage völlig unterschiedlich reagieren. Während das eine Objektiv bestimmte, gegebene Kontrastkanten scharf trennt und dadurch einen hohen Schärfeeindruck vermittelt, beginnt ein anderes Objektiv an den gleichen Stellen bereits zu glühen – vielleicht sogar mit dem besseren (weil spannenderen, weil kreativeren, weil stimmungsvolleren...?) Bildergebnis, aber mit der Folge eines ausgeprägteren Unschärfeeindrucks. Ich werde von den Objektiven immer wieder überrascht, wie sie in bestimmten Situationen insbesondere mit dem Licht sowohl in den Schärfen und hier vor allem an den Kontrastkanten als auch in den Unschärfen umgehen und wie groß der Einfluss kleinster Änderungen hierbei ist.

Um zurück zu Deinen Fotos zu kommen: Oben drüber steht, dass bei Tieren mit Augen und Haaren hinzukommt, dass das menschliche Gehirn in der Regel mehr Schärfe "erwartet" als bei Nicht-Tier-Motiven. Hier werden gegebene Spielräume schnell anders empfunden. Deshalb rate ich meist dazu – so auch in Breklum –, bei der Vintage-Makrofotografie nicht unbedingt mit Tiermotiven zu beginnen. Klar, Tiere üben auf viele Makronisten eine hohen Reiz aus, das ist mehr als verständlich. Aber wenn man mit einem wilden Vintage-Objektiv sofort auf alles, was sich bewegt, draufhält, führt das später am Monitor schnell zu einer großen Enttäuschen. Viele Vintage-Makronisten haben in solchen Situationen – leider sehr frustriert – alles in die Tonne getreten. Hat man ein Objektiv jedoch mal eine zeitlang kennengelernt, lassen sich dessen Abbildungstendenzen in Abhängigkeit zu den vorliegenden Situationen schließlich auch am Motiv "Tier" besser einschätzen.

All das zeigt, dass hier keine universell geltende Aussagen gemacht werden können. Am besten ist es, man befreit sich von allem Glück und Unglück dieser Welt – macht sich also ordentlich frei –, lässt sich vom Objektiv Gassi führen (und nicht umgekehrt) und schaut, was das Objektiv aus den verschiedenen Situationen so alles macht. Wenn man sich in dieser Phase erst mal damit begnügt, auf die "sonstigen", auf die eher nüchternen Parameter wie Belichtung, Verwacklungsvermeidung, aber auch Bildaufteilung usw. zu achten, kommen meist schon im wahrsten Sinne des Wortes traumhafte Bilder dabei raus :-). Denn solche Fotos sind bereits Gemeinschaftsprodukte vom Fotografen und dem eingesetzten Objektiv. Beide zusammen können bessere Bilder als jeder einzeln für sich :-).

Liebe Grüße 

Roland

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Makronist

Lieber Roland,

auf keinen Fall und nicht ansatzweise werde ich alles "frustriert in die Tonne treten"! Ist doch klar, dass solch ambitionierte Versuche wie Vintage-Insekten-Makros nicht direkt hinhauen können. Warum, das hast du gut erklärt. Zu gerne würde ich jetzt weiter üben und dabei auf die Nuancen achten, auf die du hingewiesen hast. Zu schade, dass die Sechsbeiner erst in ein paar Monaten wieder auftauchen. Aber auch von der Ungeduld sollte man sich "ordentlich frei machen". Ich träume deshalb erstmal weiter von traumhaften Bildern und werde hoffentlich im Frühjahr die Zügel noch besser aus der Hand geben können und mich Gassi führen lassen.

Danke dir

Ingo

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Hallo Ingo,

Deine Frage hat Roland schon ausgiebig beantwortet. Ich könnte dir da nicht weiterhelfen. Aber ich finde deine Aufnahme ganz wundervoll. Mir gefällt das mit der leichten Unschärfe grade gut. 
 

Liebe Grüße 

Sonja

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MOD

Grüß Dich Ingo,

ja, bei dem ersten Bild liegt der Fokus nicht ganz auf dem Auge, aber es tut mir als Betrachter nichts. Es ist ein wenig verträumt. Ein wenig David Hamilton nur mit einem anderen Model *lach*.

Servus
Wolfgang

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