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ADMIN

Hallo Mainecoon,

Du hast ein Pflanzenfoto eingestellt – oder ein Tierfoto? Der Titel spricht für Tier-, das Foto selbst zumindest auf den ersten, zweiten und dritten Blick für Pflanzenfoto. Diese Problematik ist oben bereits angesprochen worden.

Deine Frage geht nun dahin, ob auch bei diesem Bild das Prinzip Tier toppt Pflanze gilt, ob es entsprechend umgesetzt ist und wie es gegebenenfalls besser umzusetzen wäre.

Um es vorweg zu nehmen: So, wie Du das Foto oben gemacht hast, ist es nicht besser umzusetzen! Bei diesem Abbildungsmaßstab, aus diesem Winkel und fotografiert und dann noch mit einem Vintage-Objektiv geht das beim besten Willen nicht. Wir schauen uns die Gründe detailliert an:

Was ist gegeben?

Ein Fotograf sollte sich vor der Erstellung eines Bildes überlegen, was er fotografieren möchte; die Bildidee steht am Anfang. Hier war Deine Bildidee: kleines Tier (Blattlaus) in seinem Lebensraum.

Im zweiten Schritt muss nun überlegt werden, womit man wie diese Idee umsetzt – anders formuliert: mit welchem Objektiv man im welchem Maßstab, von welcher Perspektive und welchem Winkel aus man fotografiert usw. Und bei aller Liberalität und aller "Freiheit" seitens des Bildautors, hier gibt es einige objektive Kriterien, die zu beachten sich – zumindest dann, wenn man das Foto anderen Bildbetrachtern zeigen möchte. Denn dann müssen Kriterien der Bildwahrnehmung beachtet werden. Fotografiert man nur für sich selbst, kann man sich natürlich auch darauf beschränken, was man selbst wahrnimmt, und hierbei die eigenen Emotionen und Vorstellungen zum Zeitpunkt der Entstehung der Aufnahme voll und ganz wirken lassen. Zeigt man sein Foto anderen Betrachtern, fällt dies weg. Dann gelten verstärkt zusätzliche objektive Kriterien.

Das bedeutet, dass bei der Bildidee "kleines Tier in seinem Lebensraum" dem Bildbetrachter eine attraktive und relativ rasch zu erfassende Möglichkeit gegeben werden muss, das (kleine) Tier zu entdecken. Das ist bei Deinem Bild oben nicht unbedingt gegeben. Als erstes entdeckt der Betrachter die Pflanze. Gut, das ist erst einmal auch nicht weiter "schlimm", schließlich gibt es ja noch den Bestandteil "in seinem Lebensraum" in Deiner Bildidee. Nun muss aber zumindest "in zweiter Instanz" der Blick zum Tier gelenkt werden.

Damit sich dieser auch bei einer solch geringen Größe des Tiers gerne dorthin lenken lässt, gibt es fotografische Hilfsmittel. So kann man beispielsweise durch ein attraktives, anziehendes Licht den Betrachterblick auf ein kleines, aber wichtiges Bilddetail lenken, oder mittels eine sauber gelegten, hohen Schärfe, oder einer interessanten oder sogar spektakulären Perspektive des Tiers zu seinem Lebensraum, oder, oder, oder...

Und jetzt sind wir beim Kern des "Problems" beim Bild oben angekommen. Keine der Möglichkeiten, die die Fotografie bietet, "hilft" dem Bildbetrachter, Deine Bildidee zu "sehen", zumindest den Teil der Bildidee mit der kleinen Laus. Die Laus ist sehr klein, ok, aber sie ist weder in einem attraktiven Licht, noch in einer schneidenden Punktschärfe oder kann durch irgend etwas anderes punkten; sie geht im Bild unter.

Wie kann man Deine Bildidee umsetzen?

Objektiv-Wahl

Vieles ergibt sich bereits aus oben Beschriebenem. Der erste Ansatz wäre eine andere Optik. Mit den Vintage-Objektiven malen wir – auf Kosten ihrer Punktschärfe. Die brauchen wir aber, ohne wenn und aber, wenn wir diese kleine Laus in Ihrem Lebensraum  (Bildidee!) fotografieren wollen. Dies Möglichkeiten, dies mit einem Vintage-Objektiv umzusetzen, stellen absolute Ausnahmen dar und müssen gelernt werden.

Erst mal muss also ein modernes, hochkorrigiertes Objektiv gewählt werden, damit das Prinzip funktioniert, mittels einer hohen Punktschärfe den Betrachterblick auf diesen sehr kleinen Bestandteil des Hauptmotivs zu lenken.

Perspektive

Zum weiteren muss die Perspektive überdacht werden. Die von Dir gewählte Perspektive ist eher ungünstig; dies wird bereits aus den oben geschilderten Empfindungen verschiedener Bildbetrachter deutlich. Der "helle, unscharfe Fleck" im Vordergrund – die Röhrenblüten der Pflanze, dominieren das Bild sehr stark. Sie ziehen den Betrachterblick stark an, obwohl sie nichts mit der Bildidee zu tun haben; sie sind weder das "kleine Tier" noch der "große Lebensraum", sondern nur ein Teil von diesem, neben weiteren.

Es ist also ein objektiver Aspekt, dass diese Ausgangssituation ungünstig ist. Es besteht die Möglichkeit, die Perspektive dahingehend zu ändern, dass entweder Teile der gelben Röhrenblüten mit in die Schärfeebene rutschen, in der auch die kleine Laus ist. Oder die Laus wird so ins Bild gesetzt, dass sie vor den gelben Röhrenblüten sitzt. Diese ziehen sich dann in die Unschärfe des Hintergrunds zurück, sind also als "großer Lebensraum" weiterhin im Bild, dominieren aber die Laus nicht, vor allem nicht in einer wenig attraktiven, unscharfen Form.

Abbildungsmaßstab

Natürlich darf bei Deiner formulierten Bildidee der Abbildungsmaßstab nicht zu groß ausfallen; ein Porträt der Laus würde ihre Kleinheit im Lebensraum nicht zur Geltung bringen. Anders herum darf aber der Abbildungsmaßstab auch nicht so klein gewählt werden, dass das Foto zum Suchspiel nach dem Protagonisten wird – und wenn doch, dann sollte er spätestens dann "leuchten", wenn er entdeckt wurde. Die Größe des für die Umsetzung der formulierten Bildidee geeigneten Abbildungsmaßstabs hängt also auch von den übrigen schon genannten Faktoren wie Licht, Schärfe und so weiter ab. Je weniger unterstützende Faktoren zusammenkommen, desto größer sollte der Abbildungsmaßstab sein – wobei es hier, und das ist wichtig festzustellen, immer auf den Einzelfall ankommt!

Diese Punkte stellen nur einen Teil der Faktoren dar, die bei der Umsetzung Deiner Bildidee eine Rolle spielen. Das Ganze noch umfassender zu erörtern, würde den Rahmen hier bei Makrotreff sprengen. Aber ich denke, zumindest die "Richtung" einer möglichen Herangehensweise wird deutlich.

Um das alles noch deutlicher zu machen, hänge ich ein paar Fotos an, die sehr kleine Insekten, ebenfalls nur wenige Millimeter groß, auf einer Blüte zeigen – alle fotografiert mit modernen Objektiven. Sie machen insbesondere die Auswirkungen der Punkte Schärfe, Klarheit/BrillanzKontrastePerspektive und Abbildungsmaßstab deutlich. Klar, hier kommt der Lebensraum nicht in dieser Größe zur Geltung wie bei Deinem Foto oben. Aber die Größe des Insekts zur Blüte wird deutlich – und damit ist eine Einschätzung seitens des Bildbetrachters möglich.

Fazit

Befinden sich Tiere auf Pflanzenteilen, gilt das Prinzip Tier toppt Pflanze – dies leitet sich objektiv von der Art der menschlichen Wahrnehmung ab. Das heißt aber nicht automatisch, dass der Bildbetrachter zwingend und vor allem auch gerne zuerst das Tier auf der Pflanze "entdeckt". Es gibt mehrere fotografische Parameter, mit denen nun der Fotograf diesem Umstand – nämlich dass in der Wahrnehmung des Bildbetrachters das Tier die Pflanze toppt – gerecht werden muss. Auf einige wichtige dieser Aspekte und Möglichkeiten bin ich oben eingegangen.

Liebe Grüße

Roland

Brackwespe auf Zungenblütenblatt;
Auch hier sind, wie bei Deinem Foto, die gelben Röhrenblüte unscharf im Vordergrund. Die kleine Wespe wird jedoch (trotz ihrer Kleinheit) aufgrund der vorliegenden Kontrastsituation und ihrer bildwirksamen Position im Goldenen Schnitt rasch vom Bildbetrachter entdeckt – und ihre Kleinheit auch als solche erkannt. Der Maßstab ist hier, wie auch bei den folgenden Fotos, deutlich größer.
 

Hier sitzt die winzige Mücke vor den gelben Röhrenblüten, die sich unscharf in den Hintergrund zurückziehen.
 

Eine sehr kleine Bohrfliege. Beachte die Perspektive. Ihre Kleinheit wird durch die sie umgebenden Blütenteile erkennbar: weiße Zungenblütenblätter und unscharfe, gelbe Röhrenblüten in einem großen Bereich hinter der Fliege.
 

Ein ganz anderes Beispiel:
Die Abbildungsgröße dieser Schwebfliege ist sehr gering. Dennoch wird sie sofort gesehen, ohne dass Ihre Einbindung als kleine Fliege auf einem großen Blatt verloren geht. Gründe hierfür: farblicher Unterschied, Schärfelage exakt auf den Augen und Positionierung im Goldenen Schnitt.

Dies alles führt zur Unterstütztung des Prinzips Tier toppt Pflanze.

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