Vorfrühling

Eigentlich gefällt mir das Foto ganz gut. Trotzdem möchte ich fragen: Was hätte ich besser machen können?

Kommentarbereich

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ADMIN

Hallo Hannelore,

herzlich willkommen bei Makrotreff!

Schön, dass Du dieses Foto, nachdem Du es in den Showroom eingestellt hattest, nun nochmals hier einstellst.

Im Bild liegt ein wunderbares, weiches Licht, was großen Einfluss auf die schöne Farbgebung hat. Beides ist typisch für die frühe Jahreszeit. Beim Betrachten fühle ich regelrecht Deinen Bildtitel: Vorfrühling!

Im Showroom erhielt das an sich schöne Foto eine eher geringere Sterne-Vergabe. Woran liegt das? Ich spreche einige Punkte detailliert an:

Bildausschnitt/Komposition

Ein Hauptaspekt bei diesem Foto ist der Bildausschnitt bzw. die Bildkomposition. Das Hauptmotiv sind die beiden männlichen Blüten der Hasel, die Kätzchen. Dort liegt die Schärfe, und diese Schärfe zieht das Betrachterauge an.

Die beiden Kätzchen sind nahezu in der Bildmitte platziert. Eine solche Bildaufteilung wirkt in der Regel nicht so harmonisch wie eine Anordnung entsprechend beispielsweise der Drittelregel, bei der das Hauptmotiv auf einer der Drittellinien platziert wird – hier in diesem Fall hätte sich die linke senkrechte Drittellinie angeboten. Das führt häufig zu einer harmonischeren Bildwirkung.

Nun kommt hier ein weiterer Aspekt dazu: Das Hauptmotiv hat eine deutlich längliche Form. Versucht man, diese längliche Form in einem Querformat unterzubringen, kann schnell genau das passieren, was hier der Fall ist: An einem oder sogar zwei Bildrändern kann es eng werden. Bei diesem Bild hier ist oben sehr wenig Raum zwischen dem "Anfang" der Kätzen, und unten stoßen sie fast an den Bildrand. Das wirkt ein wenig gequetscht.
Generell wirkt es deutlich harmonischer, wenn ein Hauptmotiv rundherum mehr Luft hat; ich spreche hier immer gerne von einem "Rahmen" zwischen Hauptmotiv und Bildrändern, eine Art "Passepartout". 

Bei einer solchen Grundform des Hauptmotivs bietet sich meist das Hochformat an. Dann passt die Motivform besser zum Format, und es ist deutlich einfacher, bei gleichem Abbildungsmaßstab mehr Raum zwischen Hauptmotiv und Bildrand zu belassen.

Alternative: Querformat mit einem geringeren Abbildungsmaßstab, wodurch dann aber der Hintergrund deutlicher gezeichnet wird. Der könnte dann eher störend bzw. ablenkend wirken (Ausnahme: Er erhält eine größere Bedeutung durch den Einsatz eines Vintage-Objektivs. Aber das ist dann ein ganz anderes Thema).

Schärfe/Schärfelage

Du hast Dir mit diesem Motiv eine recht schwere Hürde aufgestellt: Du hast zwei Kätzchen als Hauptmotiv gewählt. Das bedeutet, dass dann auch beide voll in der Schärfe sein sollten. Denn sie ziehen das Betrachterauge an, und das will sie dann auch scharf sehen :-).

Das setzt voraus, dass beide exakt im rechten Winkel zur optischen Achse ausgerichtet sind – damit beide in der schmalen Schärfeebene sind.

Das ist Dir hier weitestgehend gelungen. Jedoch liegt die knappe Schärfe der offenen Blende 2.8 nicht exakt auf den Kätzchen; sie liegt ganz leicht dahinter – mit der Folge, dass vor allem die vorderen, dem Bildbetrachter zugewandten Seiten leicht unscharf sind. Dies kann man unter anderem auch schön an dem hinteren oberen, quer liegenden Zäpfen sehen; dort liegt die Schärfe.

Welche Spielräume bestehen?

Du hast Dich mit einer 1/15s schon für eine recht lange Verschlusszeit entschieden, diese aber auch weitestgehend ohne Verwacklung umgesetzt. Und die Blende ist ebenfalls bereits voll offen.
Bleibt also nur noch der ISO-Wert, um eine Änderung zu erhalten, die zu etwas mehr Schärfentiefe führt – die Du aber benötigst, um die beiden leicht gekrümmten Zäpfchen bei diesem Abbildungsmaßstab ausreichend scharf zu bekommen.

Mein Vorschlag: den ISO-Wert um eine komplette Stufe auf 200 heben und diesen "Gewinn" in eine Blendenstufe investieren. Blende 4.0 würde genügend Schärfe liefern, ohne den Hintergrund zu stark zu beunruhigen – vorausgesetzt, die Schärfe liegt dann exakt auf der Vorderfläche der Kätzchen.

 

So, nun habe ich eine Menge geschrieben. Und im Nachhinein kann man das immer sehr gut sagen und hierbei viele Konjunktive wie "hätte", "wäre" oder "sollte" verwenden. Vor Ort sieht die Sache meist anders aus... :-).

Das alles soll nun aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um ein Bild handelt, das ich sehr gerne anschaue – alleine schon wegen der oben bereits erwähnten tollen, ja fast pastellartigen Farben.

In diesem Sinne weiterhin "Gut Licht"

Roland

Profile picture for user Hannelore Weiße
Makronist

Danke Roland. WOW. Was für ein tolles Feedback. Ich glaube, es hat noch nie jemand sich so intensiv mit einem meiner Fotos beschäftigt. Normalerweise halte ich mich an die Drittelregel, nur wollte ich den waagerechten Zweig nicht abschneiden, weder in Natur, noch im Bild. Auf die Idee, im Hochformat zu fotografieren bin ich nicht gekommen, sehe aber jetzt, dass es die bessere Wahl gewesen wäre. Doch hätte der dann stark beschnittene Zweig nicht die Harmonie gestört? Dass die Schärfe nicht exakt auf dem Hauptmotiv liegt, sehe ich leider auch erst nach deinem Hinweis. (Brille aufsetzen!) Was mich aber überrascht an deinen Vorschlägen, ist der Isowert. Ich habe immer fest geglaubt, dass ich mit ISO 100 das beste Ergebnis erreiche. Deshalb habe ich tatsächlich ein Stativ benutzt, weil ich bei 1/15s garantiert verwackelt hätte. Mit F/4 und ISO 200 wäre es vielleicht gegangen. Danke nochmals für die Mühe und die Motivation.

Liebe Grüße,

Hannelore

Profile picture for user Roland

ADMIN

Hallo Hannelore,

ja, Du hast natürlich Recht mit Deinem Einwand bezüglich des waagerechten Zweigs. Kompositions-Änderungen wirken sich meist auf das ganze Bild aus. Letztendlich muss man das immer im Einzelfall vor Ort entscheiden.

Ich glaube nicht, das bei einem Hochformat der stark beschnittene Zweig die Harmonie gestört hätte, denn das Hauptmotiv hätte in diesem Fall eine größere Gewichtung im Bild erhalten. Aber auch hier gilt: Es hätte sich um ein stark verändertes Bild gehandelt. Also auch hier zählt letztendlich die Entscheidung bzw. Abwägung vor Ort. Wichtig ist bei alldem nur, dass man das alles bewusst macht. Dann trifft man meist die richtige Entscheidung.

Mit Deinem Glauben, bei ISO 100 das beste Ergebnis zu erreichen, liegst Du absolut richtig. Und bleibe auch bei diesem Glauben, das ist gut und wichtig :-).
Aber bei der Fotografie muss man häufig Kompromisse eingehen. Und genau das ist hier auch der Fall. In irgendeinen sauren Apfel müssen wir beißen, wenn wir etwas mehr Schärfentiefe haben wollen. Und da bleibt in diesem Fall nur, den ISO-Wert um eine Stufe zu senken. Bei der guten Qualität Deiner Kamera ist das allerdings ein kleiner Kompromiss :-).
Und trotzdem: es ist einer! Also bleibe bitte generell gesehen unbedingt bei Deinem bisherigen Umgang mit dem ISO-Wert.

Liebe Grüße

Roland

Profile picture for user Wolfgang Zeiselmair

MOD

Grüß Dich Hannelore,

erst einmal, auch von mir ein herzliches willkommen hier bei uns auf Makrotreff. Schön dass Du zu uns gefunden hast. Auch finde Deine Entscheidung das Bild in die Werkstatt zu stellen goldrichtig. Die Werkstatt soll ja der Ort der Bildbesprechung sein, hier kann man sich mit dem Foto auseinandersetzen, am besten natürlich bei einer konkreten Fragestellung. Wir wollen ja nicht nur ein "super gesehen" oder toll gemacht schreiben, sondern detailliert auf das Bild eingehen können.

Zu Deinem Haselbild hat Roland schon alles gesagt. Beide Formate, also das Hoch- sowie das Querformat haben ihre Berechtigung. Leider wird wegen der horizontalen Ausrichtung der Bildschirme das Hochformat recht stiefmütterlich behandelt. Am besten sollte das Motiv über das Format entscheiden. Wenn Du Dir unsicher bist, mache es wie ich, nimm einen Stift und skizziere das Motiv. Du siehst dann die Bildwirkung ohne weitere Ablenkung :-). Ich hänge hier einfach einmal ein Beispiel an.

Hab noch viel Spaß hier bei uns und verzaubere uns mit Deinen Bildern.

Servus
Wolfgang

Profile picture for user Hannelore Weiße
Makronist

Danke für deinen Kommentar, Wolfgang. Ich habe euren Rat befolgt und mein Bild in Hochformat gesetzt. Wie ich schon ahnte, sieht das deutlich besser aus. Euer Tipp war also genau richtig. Da ich es nachträglich am Foto gemacht habe, konnte ich natürlich der Blüte am unteren Rand nicht mehr Raum spendieren. Künftig werde ich beim Fotografieren darauf achten. L.G. Hannelore

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