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Wabi-Sabi

Hallo Dirk,

Wabi-Sabi in der Fotografie. Wabi-Sabi in der Vintage-Makrofotografie.
Die Beschäftigung mit dieser Sichtweise ist sehr interessant. Wobei Wabi-Sabi mehr als nur eine Sichtweise ist; Wabi-Sabi ist eine Lebenseinstellung.

Asiatische Kulturen

Eine solche Lebenseinstellung wurde und wird vor allem in asiatischen Kulturen gelebt und gepflegt. Hierüber könnte und müsste man eigentlich ein Buch schreiben, nein, am besten zu den entsprechenden Kulturkreisen hinradeln und über Jahre hinweg selbst erleben :-). Dann wird einem bewusst, wie groß der Unterschied zur Lebenseinstellung unserer westlichen Kultur ist.

Stark verkürzt und versucht, in einen einzigen Satz zu pressen, könnte man beispielsweise das japanische "Wabi-Sabi" als die Akzeptanz und Wertschätzung des unbeständigen Wesens allen Seins beschreiben.

Westliche Kulturen

Wir Europäer tun uns dabei oft recht schwer – und das vielfach unbewusst. Nehmen wir als Beispiel die Fotografie von Blumen. Wahrscheinlich weit über 99 % aller Blumenfotos der weltlichen Kultur zeigen die "schönste" Seite jeder Blume – ihre Blüte. Am besten im Zustand der Hochblüte, ohne jeden Makel. Schaut man sich Postkartenständer an, kommen wir auf 100% der dort abgebildeten Pflanzen. Blüten mit verblühten Bestandteilen oder sogar komplett verblühte Blüten sucht man vergebens.

Dies entspricht der Lebenseinstellung der meisten Menschen unserer Kultur. Verblühte Blüten – das wollen wir nicht. Das wird nicht fotografiert, weil es zu wenig schön ist. In den meisten Parks werden Stauden kurz nach der Vollblüte aus ihren Rabatten gerissen und durch andere Stauden ersetzt, die sich blühtechnisch unmittelbar vor ihrem Blühmaximum befinden; die rausgenommen Pflanzen werden auf den Kompost geschmissen.

Diese Wahrnehmung lässt sich auf sehr viele anderen Lebensthemen übertragen wie z.B. Alter, Sterben, Farben oder Weihnachtsschmuck. Überall finden wir eine Verschiebung zum Klimax, zum "Schönen" hin. Überall findet eine starke Wahrnehmungsselektion statt.

Wabi-Sabi in der (Makro-)Fotografie

Japaner, deren Lebenseinstellung sich am Wabi-Sabi-Prinzip orientiert, finden beispielsweise Fotos von ausschließlich in Vollblüte befindlichen Blüten wenig oder nicht schön. Für sie ist der gezeigte inhaltliche Ausschnitt zu eng. Es fehlt die Erfassung der weiteren für das Leben notwendigen Phasen. Für sie fehlt die Vollständigkeit.

[Anmerkung: Das ist hier alles sehr kurz beschrieben und dadurch fachlich nicht vollständig und auch nicht vollkommen korrekt. Wie gesagt, es handelt sich um eine sehr komplexes Thema.]

Beispiel Pflanzenfoto

Wenn wir diese Einstellung auf ein Foto übertragen, läge aus Sicht eines Wabi-Sabi-orientierten Japaners beispielsweise bei einer Pflanze das Schöne in der Darstellung beider (oder mehr) Seiten – wenn also ein Foto sowohl den Blühaspekt als auch das Verblühen erfasst und wiedergibt. Auf ihn wirkt die Gesamtheit des Seins attraktiver als ein herausgefiltertes, vermeintlich Schöne.
Es wird also dieser Lebenseinstellung auch nicht gerecht, nur bzw. isoliert das Verblühen zu zeigen; auch darin liegt nicht der Ausdruck von Vollständigkeit – höchstens im Kontext weiterer Fotos oder eines Textes, der sich mit allen Bereichen pflanzlichen Seins beschäftigt.

(Makro-)Fotografisch bietet dieses Thema einen sehr großen Beschäftigungsrahmen.

In diesem Sinne weiterhin "Gut Licht" 

Roland

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